Blogstory (02) Der Frisierer

Karl Richard Ishna aus Hinterwellingen hatte neben einem außergewöhnlichen Namen auch das ebenso außergewöhnliche Talent, überall gut abzuschneiden. Ishna sollte daher auch Friseur werden, wie schon sein Vater. Aber im Unterschied zu Walter Ishna frisierte Karl Richard nicht nur Menschen, sondern auch Autos. Mit leidenschaftlicher Hingabe schraubte er an Motoren herum und tunte alles, was ihm unter den Maulschlüssel kam.

Seinem Vater war es nicht einerlei, ob sich sein Sohn für Kurbelwellen oder Dauerwellen, für die Autowracks im oder das Shampoo gegen Schuppen interessierte – und so sah der Friseurmeister Walter Ishna mit bangem Erwarten der Entscheidung seines Sohnes entgegen.

Als Steppke hatte Karl Richard hatte anfangs nur Haare gewaschen, und die Kundschaft war durch die Bank voll des Lobes über den fleißigen Sohn des Friseurs. Bald schon konnte er erste einfache Haarschnitte vornehmen, ohne die Kundschaft allzu unglücklich zu machen – sie waren fast immer mit dem Ergebnis zufrieden, immerhin war Karl Richard ja noch ein Junge. Vor Stolz strahlend nahm der sein Trinkgeld entgegen und genoss die Anerkennung.

Man schrieb die späten fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als Karl Richard sich zum Wohlgefallen seines Vaters Walter entschied, in dessen Fußstapfen zu treten – soweit sie trotz der abgeschnittenen Haare am Boden zu sehen waren, und sich ebenfalls einen Namen als Friseur zu machen. (Als Automechaniker eine Lehre – lieber vor der, als auf die Schulbank drücken)

Als er zu seinem Achtzehnten Geburtstag vom stolzen Vater das neue Namensschild für den Salon überreicht bekam zum Zeichen, dass er nun Verantwortung übernehmen konnte und sollte, kam dem nachdenklich dreinschauenden Karl Richard die Aufschrift dann allerdings merkwürdig vor. Seine Vornamen hatte der Vater aus Platzgründen abkürzen lassen und so stand da nun:

„Salon HAARE K.R.ISHNA“

Eine Dauerwelle des sagenhaften Erfolges kam bald darauf schon auf Karl Richard zu. Geheimnisvolle Leute mit befremdlichen Reden und mit Bettlaken um die Schultern waren eines Tages in seinen kleinen Salon gekommen, umringten ihn palavernd und verneigten sich vor ihm. Sie sangen in merkwürdiger Weise den Namen seines Salons und sahen mit vor Staunen offenen Mündern dem Vater und Sohn beim Frisieren zu.
Walter Ishna wusste nicht so recht, ob diese merkwürdigen Leute nicht am Ende doch gefährlich waren, sein Sohn aber kannte keine Berührungsängste und ging unbekümmert auf sie zu. Karl Richard sah in ihnen potenzielle Kunden und konnte tatsächlich einen der Männer auf den Frisierstuhl locken.

Wunschgemäß schnitt er ihm eine Glatze und cremte diese hinterher ein, so dass sie glänzte wie eine frisch lackierte Motorhaube. Nun gab es kein Halten mehr für die Übrigen, alle wollten sie so glänzen auf ihrem Haupt – und Karl Richard musste schließlich den Vater hinzu holen, um vor Einbruch der Dunkelheit fertig zu werden. Die neu gewonnenen Kunden vergötterten Karl Richard, bedankten sich immer wieder überschwänglich bei ihm und überhäuften ihn und seinen Vater mit guten Wünschen, dass den Beiden fast schwindelig wurde. Immer wieder sangen sie ihr Dankeslied über den Friseursalon …“Haare K.R. Ishna, Haare, Haare …“.

Walter Ishna fand die Leute mittlerweile auch sehr nett, und vor allem brachten sie leicht verdientes Geld in die Kasse. Was noch leichter wurde, da Karl Richard sich zum Meister qualifizierte im Verkauf von Zusatzartikeln wie Cremes, Lack, Brillantine und haarwuschfördernden Mittelchen.
Nach dem Mauerfall 89 brannte KR mächtig darauf nachzusehen, ob er sich nicht noch viel mehr solcher pflegeleichter Kunden angeln könnte. Irgendwann hatten ihm seine Bettlaktenkunden erzählt vom „Fernen Osten“, das da alles herkäme, und so machte er sich als mobiler Landfriseur schleunigst auf den Weg nach Brandenburg. Und staunte: Nicht nur die Cremes, sogar sein klappriges Auto wollte man ihm dort abkaufen. Als er hörte, was der nette junge Mann zu zahlen bereit war, überstieg das sogar Karl Richards Gewissen und so gab er ihm einen kostenlosen Haarschnitt obendrein. Glatze natürlich. KR tauchte schleunigst unter und am nächsten Tag mit dem nächsten klapprigen Auto vom Hof wieder auf.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von dem tollen Friseur, der tolle Autos verkaufte und KR war begeistert vom Osten und vielleicht der erste Monatskartenbesitzer für den Nachtzug von Brandenburg nach Hinterwellingen. Nachdem er so manche Kopfhaut frei- und manche Karosse tiefer gelegte hatte, richtete er sich vom Erlös eine kleine Werkstatt ein, mit Büro und Warteraum, der aussah wie ein Friseursalon.

Brandenburgs Jungvolk zählte bald schon zum Kundenkreis des frisierenden Automechanikers oder des Autos verkaufenden Friseurs – ja, was genau Karl Richard von Beruf war, dass erschloss sich den kahlköpfigen Autofahrern Brandenburgs nicht wirklich. Aber obwohl er ihnen oft während des Haareschneidens ein allzu klappriges Auto verkaufte, oder während der Motorwäsche eine Kopfwäsche verpasste, standen sie servicehungrig wie sie waren, bald schon wieder auf seiner Matte. Nun ja, Glatzenträger sind nette Menschen, das wusste Karl Richard ja aus Erfahrung, auch wenn sie ihm nicht so offenkundig huldigten und sich verbeugten wie die Bettlakenträger damals in Hinterwellingen.

Sie hatten ihre eigenen Methoden: Ihm zu Gefallen fuhren sie regelmäßig mit ihren Karossen an Bäume, so dass ihm sein Einkommen so sicher war, wie den Glatzen der nächste Haarschnitt.
Die Unfallrate war in der Tat erschreckend hoch, und Karl-Richard machte sich bereits Sorgen um seine Zukunft. Wovon sollte er leben, wenn es kaum noch Männer zum Autoskaufen und Köpfe zum Glatzeschneiden gab – oder intakte Alleebäume, gegen die man zur Huldigung fahren konnte?
‚Der kluge Mann baut’ vor, hatte er irgendwo gehört. Und so begann er zu spenden, was das Zeug hielt: Samen für den einen, Jungbäume für den anderen Zweck. Leisten konnte er sich das inzwischen, denn seit kurzem prangte ein großes neues Firmenschild über einem großen neuen Gebäude:

SALON Autos + Haare K.R.Ishna

Was alles geschah, nachdem Sektenbeauftragte den Laden in Brandenburg genauer unter die Lupe nahmen, das ist schon wieder eine andere Geschichte…

Blogstory (01) Der Kaffeebohnenkiller

Der Kaffeebohnenkiller

Anne bestellte sich Tee. Ausgerechnet meine Cousine Anne. Das verblüffte mich, denn sie war mir als leidenschaftliche Kaffeetrinkerin in Erinnerung geblieben, als wir uns letztes Jahr auf der Familienfeier nach langer Zeit mal wieder begegnet waren. Nun saßen wir hier im Café, um die Überraschungsparty für ihre Mutter, meine Tante Edeltraut zu planen, mit der wir alle sie zu ihrem vierzigsten Geburtstag überraschen wollten. „Kaffee trinke ich nur, wenn ich in bessere Stimmung kommen will, oder um den Kopf frei zu kriegen“, erklärte sie mir auf meine entsprechende Frage hin. Das liege bestimmt am Koffein, vermutete ich und staunte erneut, als sie verneinte.

„Wenn ich Sorgen und Probleme, schlechte Laune habe oder einfach mies drauf bin, kippe ich all diese üblen Gedanken in eine Tasse, verbrühe sie mit heißem Wasser und jage sie durch meinen Verdauungstrakt“, hörte ich sie sagen und sah sie offenen Mundes an.

„Das ist kein Witz, oder?“, fragte ich. Anne lächelte.

„Auf diese Weise werde ich sie dann los, du ahnst sicher wie sie meinen Körper dann verlassen und wo sie landen…“

„In der Kanalisation, nicht wahr?“ Ich wollte weder das SCH-Wort noch ähnliche Ausdrücke in den Mund nehmen.

„Solltest du auch mal probieren! Man fühlt sich hinterher echt positiver und kann sich wieder auf das Hier und Jetzt konzentrieren…auf die wirklich wichtigen Dinge.“ Das funktioniere im Übrigen nur, wenn man Kaffee selbst koche, ergänzte Anne noch, wegen dem Aufbrühen.

Sie nippte an ihrem Tee, den der Ober inzwischen gebracht hatte.

„Hm, dann war ich wohl gestern total mies drauf und extrem schlecht gelaunt“, entgegnete ich.

Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, eine Erklärung erwartend.

„Es war ein grausames Gemetzel. Aber es tut mir nicht leid.“, sagte ich nur und ließ Anne noch einige Sekunden länger rätseln.

„Angenehmer Kaffeegeruch breitete sich aus, als ich gestern die Tüte mit den ganzen Bohnen öffnete – das war nach dem, was du sagst, dann wohl der letzte tiefe Atemzug all der Sorgen, Fragen und Probleme, die mich bis dahin noch beschäftigt hatten, bevor sie dann ihren Geist aufgaben“, fuhr ich schließlich fort. Anne lächelte und nickte. „Das ist durchaus denkbar.“

Gestern hatte ich mir nämlich nicht nur zwei Tassen Kaffee selbst aufgebrüht, sondern meine Sorgen und Probleme in Gestalt der Kaffeebohnen vorher in der elektrischen Kaffeemühle auch noch bestialisch zerschreddert.  ©Woanders Mitesser